Dr. med. Franz Koettnitz im Interview

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Bild Dr. Koettnitz Ammeva Gründer und Frauenarzt
Bild Dr. Koettnitz Ammeva Gründer und Frauenarzt

Dr. med. Franz Koettnitz ist begeisterter Geburtshelfer und war in seinem Erstberuf Lehrer. Daher hat er eine starke Verbindung zu Kindern, deren Wohlergehen ihm sehr am Herzen liegt. Dies betrifft insbesondere frühgeborene Kinder, die der größtmöglichen Aufmerksamkeit bedürfen.

Muttermilch ist das Beste für Säuglinge. Viele Komponenten sind bereits von der Wissenschaft entschlüsselt.

Warum kommen die bisherigen industriellen Produkte der „echten“ Muttermilch trotzdem nicht nahe genug – was ist das Geheimnis des Lebenselixiers?

Dr. med. Franz Koettnitz:

Das Geheimnis liegt in der Herkunft des Produktes begründet. Eine Kuh produziert ihre Milch (eigentlich) für das Kälbchen, eine Stute für ihr Fohlen. Da Milch nicht nur einfach „eine“ Milch ist, sondern hochspezifisch für jede Art, kann man die Eigenschaften ein wenig mit denen von Spenderorganen vergleichen.

Wenn man ein Spenderorgan braucht, muss die Medizin sehr viel tun, um die Abwehrreaktionen des Empfängers gegen das fremde Organ (gegen seine Eiweiße) weitestgehend zu unterdrücken. Nicht ganz so stark ist der Abwehrvorgang des Säuglingsdarmes eines reifgeborenen Kindes in der Regel, wenn er artfremdes Eiweiß in Form von Kuhmilch bekommt.

Da sehr früh geborene Kinder („Frühchen“) noch nicht die gleichen Abwehrkräfte wie ein reif geborenes Kind besitzen, fällt Ihnen die Abwehr sehr viel schwerer, oder sie schaffen es nicht einmal und reagieren heftig darauf. Deshalb ist die „Milch vom Menschen“ nicht nur anders zusammengesetzt als tierische Milch, sondern hat auch sehr viel spezifische Eigenschaften, die Milch von Tieren niemals für den Menschen haben kann.

Sie haben zusammen mit einem Team das Unternehmen AMMEVA gegründet, das Muttermilch pulverisiert für den Gebrauch auf Frühgeborenen-Stationen. Wie läuft der Prozess ab und was unterscheidet das AMMEVA-Muttermilchpulver von anderen Muttermilchprodukten?

Dr. med. Franz Koettnitz: AMMEVA unterscheidet sich nun von allen anderen Milchbanken dadurch, dass AMMEVA die Milch nicht nach veralteter Methode pasteurisiert und einfriert, sondern dass wir die Milch auf andere, dem heutigen Stand der Technik entsprechende Art und Weise keimarm machen und sie dann trockenen, sodass sie zum Milchpulver wird.

Dieses Milchpulver, wie man es auch von Kuhmilch kennt, behält durch unsere besondere Bearbeitung den allergrößten Teil der Wirkung der darin enthaltenen Eiweiße, was für die sehr früh geborenen Kinder die diese Milch bekommen sollen sehr wichtig ist. Unser AMMEVA Milchpulver ist nach dem Trocknen einfach zu lagern und zu versenden, und hält mehr als doppelt so lange wie die Milch der herkömmlichen Milchbanken.

Warum sind insbesondere Frühchen auf die Muttermilch und zusätzlich noch die Zugabe von Verstärkern angewiesen?

Dr. med. Franz Koettnitz: Die sehr empfindlichen frühgeborenen Kinder haben, ohne dass sie körperlich sehr viel tun, einen sehr hohen Kalorienbedarf pro Tag, da sie normalerweise im Bauch der Mutter noch über die Nabelschnur ernährt würden.

Zusammen mit der oben schon erläuterten Abwehrschwäche der Frühgeborenen, lässt sich das Problem im Moment nur mit Verstärkern tierischer und pflanzlicher Herkunft lösen, welche den Darm des Frühgeborenen durch die mögliche allergische Reaktion gegen diese Fremdeiweise eben sehr belasten können.

Warum können manche Frauen trotzdem sie Milch hätten nicht stillen und keine Milch spenden?

Dr. med. Franz Koettnitz: Es gibt nur wenige, wirkliche Umstände, unter denen insbesondere die Mutter eines frühgeborenen Kindes nicht stillen darf oder kann. Wenn es zum Beispiel trotz aller, fachlich durch eine Hebamme oder eine Stillberaterin angeleitet, nicht gelingt, bei der Mutter des Frühchens die Milchbildung im ausreichenden Maße zu stimulieren, dann braucht dieses Kind Milch von einer Spenderin.

Frauen, die während der Schwangerschaft auf wichtige Medikamente, die sie wegen einer erheblichen Erkrankung eigentlich hätten nehmen müssen, können diese Medikamente oft nicht noch länger absetzen und nehmen sie auf ärztliche Anweisung dann nach der Geburt des Kindes gleich wieder ein.

Da ein großer Teil der Medikamente auch in die Milch einer Frau abgeben wird, sind die Kinder dieser Mütter mögliche Empfänger von Spendermilch.

Die Muttermilchspende an sich hat eine lange Tradition, zum Beispiel durch Ammen aber auch über Spenderbanken. Die Bereitschaft zur Spende hat aber in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen. Warum gab es diesen Abwärtstrend und wie kann man ihn Ihrer Meinung nach wieder umdrehen?

Dr. med. Franz Koettnitz: Der Abwärtstrend im früheren Westdeutschland kam mit einem Mal in Verbindung mit dem Aufkommen der HIV Erkrankung auf. Man fürchtete, die möglicherweise in Muttermilch vorhandenen Viren nicht vollständig entfernen oder auch nur nachweisen zu können, sodass die westdeutschen Muttermilchsammelstellen geschlossen wurden. Die ehemalige DDR hat aus verschiedensten Gründen diesen Schließungsprozess nicht mitgemacht und bildete mit Ihren weit über 10 Milchbanken nach der Wiedervereinigung einen unschätzbaren Vorrat an Erfahrung und Kenntnis, sodass nun auch im Westen des Landes wieder neue Milchbanken entstehen.

AMMEVA versteht sich nicht als Konkurrenz, sondern als Veredler des Produktes. Wir versuchen durch einen möglichst hohen Komfort für die Spenderin, gemeint ist das Liefern einer Pumpe, von Milcheinfriermöglichkeiten bis hin zur organisierten Abholung und die Betreuung durch eine Hebamme oder Stillberaterin, den Aufwand für die Spenderin so niedrig wie möglich zu halten.

Können alle Frauen ihre Muttermilch spenden oder gibt es eine ideale Spenderperson?

Dr. med. Franz Koettnitz: Alle Frauen können spenden, wenn sie bestimmte, von AMMEVA zu prüfende Voraussetzungen, erfüllen. Dazu gehört unter anderem, dass die Spenderin nicht raucht, keine Medikamente nimmt die auf die Milch übertragen werden kann und auch sonst nicht krank ist. Im einzelnen Fall muss ich mich als AMMEVA-Arzt damit intensiv beschäftigen und eine Entscheidung für oder gegen die Spende einer solchen Mutter aussprechen.

Wenn eine Frau über genügend Milch verfügt und als Spenderin geeignet ist, wie ist dann der Prozess, bis die Milch im Krankenhaus landet?

Dr. med. Franz Koettnitz: Unser Spenderinnen-Service nimmt alle Spenderinnen sozusagen an die Hand, begleitet und berät sie in allen zu klärenden Fragen, die im Zusammenhang mit dem Spenden erforderlich sind. Von der Lagerung der Milch im heimischen Tiefkühler, über Hygieneempfehlungen für die Behandlung von Milchpumpe und Zubehör bis zur Abholung der Milch durch unsere Kuriere. Besonderer Wert wird auf die Beratungen gelegt, im Zusammenhang mit der Einnahme neuer Medikamente oder dem Aufkommen einer Erkrankung während des Spendens aufkommen. Letzteres klärt der Spenderinnenservice immer nach Rücksprache mit mir.

Die gespendete Milch wird in aufwendigen Verfahren mehrfach mikrobiologisch und virologisch untersucht und über eigens entwickelte Verfahren von schädlichen Keimen und Viren gereinigt, anschließend zu Pulver getrocknet und zu Fortifiern verarbeitet. Fortifier sind getrocknete Bestandteile der Spenderinnenmilch, die der Muttermilch der eigenen Mutter des Kindes zugegeben werden, um den extrem hohen Kalorienbedarf zu befriedigen. Die Schwierigkeiten, die bei der Entwicklung dieser Verfahren zu überwinden waren, lagen im Erhalt möglichst aller wichtigen Eigenschaften, die die natürliche Muttermilch auszeichnen und so unentbehrlich machen.

Zum Abschluss des Verarbeitungsprozesses erfolgen sehr umfangreiche Qualitätsprüfungen der Fortifier, bevor diese und zwar ausschließlich an Kliniken zur Versorgung von Frühchen ausgeliefert werden.